Humanistische Argumente für eine moderne Religions- und Weltanschauungspolitik

Gerechte Religionspolitik ist vor allem eine Frage des politischen Willens. Das schreibt Michael Bauer, Vorstand des Humanistischen Verbands Bayern, im Beitrag für den gerade erschienenen Sammelband „Religionspolitik heute – Problemfelder und Perspektiven in Deutschland“.

„Die Politik in Deutschland hat das Feld der Religionspolitik über Jahrzehnte vernachlässigt: Ob Kopftuch oder Kruzifix, Moscheebau, Schächten oder Beschneidung, ob kirchliches Arbeitsrecht, Kirchensteuer oder Religionsunterricht: Viele Konflikte blieben den Gerichten überlassen – auch aus Mangel an Foren und Verfahren für eine strukturierte Meinungsfindung in Politik und Gesellschaft. Dabei hat sich die religiös-kirchliche Landschaft in Deutschland massiv verändert, der Bedarf an politischer Regelung ist unverkennbar.“

So bringt der Klappentext des Sammelbandes „Religionspolitik heute“ Schieflagen, offene Fragen und den eklatanten Reformbedarf in religions- und weltanschauungspolitischen Kontexten überhaupt treffend auf den Punkt. Unter den rund 30 Autorinnen und Autoren des von Daniel Gerster, Viola van Melis und Ulrich Willems herausgegebenen Bandes ist auch Michael Bauer, HVD-Vorstand in Bayern und Co-Autor des Berichts „Gläserne Wände“ zur Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland.

Bauer benennt in seinem Beitrag „Grundlinien einer modernen Religions- und Weltanschauungspolitik“ als ein zentrales Problem das Politikfeld „der einseitigen Berücksichtigung nur des religiösen Bevölkerungsteils, und dabei einer besonderen Privilegierung der evangelischen und katholischen Großformationen.“

Mangelnde Mithereinnahme der Interessen nicht-religiöser Menschen in die aktive Politik

Für eine zukunftsfähige und auf staatlicher Äquidistanz zu den religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen aller Bürgerinnen und Bürger beruhende „Weiterentwicklung des grundsätzlich bewährten Modells der Kooperation zwischen Staat und weltanschaulichen Körperschaften“, zu denen er auch die Kirchen und kleineren Religionsgemeinschaften rechnet, sieht er zwei wichtige Achsen: „Zum einen bei der mangelnden Mithereinnahme der Interessen der nicht-religiösen Menschen in das policy making, zum anderen bei den diskriminierenden Sonderrechten und Privilegierungen mancher Religionsgemeinschaften und der ihnen Zugehörigen“, so Bauer. Er ergänzt: „Der Begriff der Diskriminierung ist hier bewusst gewählt, denn die vielen Sonderrechte der Kirchen und Religionsgemeinschaften und die mangelnde Gleichstellung der Nichtreligiösen sind zwei Seiten derselben Medaille.“

Michael Bauer Foto: Kohler Fotografie

Als weitere wesentliche Problemfelder zulasten einer zeitgemäßen und zukunftsfähigen Religions- und Weltanschauungspolitik bezeichnet er im Folgenden die Anwendung des kirchlichen Mitgliedschaftsbegriffs und -konzepts auf religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften ohne kirchlich geprägtes Selbstverständnis, das auch darauf fußende Fehlen einer angemessenen weltanschaulichen Ordnungspolitik im Sinne fairer Verhältnisse sowie die zum Vorteil mächtiger Marktakteure im Bereich des Sozial- und Bildungswesens ordnungspolitisch bisher mangelhaft regulierte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, das zu Quasi-Monopolen kirchlicher Träger geführt hat. „Die an sich gute Idee der Subsidiarität hat sich dort nicht selten in ihr Gegenteil verkehrt“, stellt Bauer fest, denn „es agieren auf diesem Feld oft große kirchliche Sozialkonzerne und Verbünde mit vielen tausend, teils gar zehntausenden Mitarbeitenden in marktbeherrschender Weise. Diese Situation hat mit der ursprünglichen Idee der subsidiären Vielfalt nichts mehr zu tun. An die Stelle eines staatlichen Monopols ist in diesen Fällen ein kirchliches getreten, das nicht-religiöse Menschen vor vielfältige Probleme stellt.“

Beispielhaft skizziert er außerdem, wie die Schieflagen in der Religionspolitik im Bereich der schulischen Wertebildung zu Nachteilen für konfessionsfreie und humanistische Bürgerinnen und Bürger im Bildungswesen führen. Die Behebung vieler Probleme und die Gewährleistung einer Gleichberechtigung und Gleichbehandlung könne in den meisten Fällen „durch die Anwendung oder geringfügige Erweiterung des bestehenden Rechtsrahmens erreicht werden, ist also vor allem eine Frage des politischen Willens.“

Mehr als 30 weitere Beiträge des im Verlag Herder erschienenen Bandes erörtern religionspolitische Grundsatzfragen ebenso wie aktuelle Konflikte und Lösungsmöglichkeiten und wollen so helfen, künftig weniger unvorbereitet in religionspolitische Konflikte zu stolpern.

Hrsg.: Daniel Gerster, Viola van Melis und Ulrich Willems
Religionspolitik heute – Problemfelder und Perspektiven in Deutschland
Verlag Herder, München 2018
464 S., gebunden
40 €


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