Humanistischer Verband Deutschlands veröffentlicht ersten Bericht zur systematischen Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland.
„Menschen ohne religiöses Bekenntnis sind in der Bundesrepublik Deutschland bis heute Bürger zweiter Klasse. Nicht das erste Mal, aber besonders eindrücklich vor Augen geführt wurde uns dies vor kurzem bei den skandalösen Vorgängen um die Novellierung des ZDF-Staatsvertrages.“ Das sagte am Montag der Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Frieder Otto Wolf, in Berlin anlässlich des Starts des Onlineportals zum Bericht „Gläserne Wände“, der am 17. September 2015 erscheint.
Wolf sagte weiter, der trotz wiederholter Aufforderungen und Appelle von verschiedenen Seiten durch die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer „fortgesetzte Ausschluss aus dem Rundfunkrat hat uns unmissverständlich klargemacht: Konfessionsfreie und nichtreligiöse Menschen haben zwar stets die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte oder Chancen.“ Zuvor hatten im Juni die Regierungschefinnen und -chefs eine Novelle des ZDF-Staatsvertrages unterzeichnet, die neben Vertretern der Kirchen sowie der Jüdischen Gemeinde in Deutschland zukünftig auch Vertreter der Muslime den Rundfunkrat des Senders einbezieht, nicht jedoch Vertreter von kirchen- und glaubensfernen Bürgern bzw. Beitragszahlern.
Am morgigen Dienstag nun beginnt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die bundesweite Umfrage „Diskriminierung in Deutschland 2015“. Anlässlich dieser Umfrage gibt der Humanistische Verband erstmals den Bericht „Gläserne Wände“ zur systematischen Benachteiligung nichtreligiöser Menschen in Deutschland heraus.
Rund 25 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, knapp ein Drittel der Bevölkerung, gehören keiner Konfession an. Die große Mehrheit von ihnen ist nicht religiös. In den Großstädten – in den alten wie in den neuen Bundesländern – ist ihr Anteil regelmäßig erheblich höher. Doch wer in Deutschland nicht Mitglied in einer Kirche oder anderen traditionellen religiösen Glaubensgemeinschaft ist, hat oftmals die schlechteren Karten: auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, in der Politik, in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung.
Dr. Thomas Heinrichs, Rechtsanwalt und Experte für Weltanschauungs- und Religionsverfassungsrecht, nennt einen Grund, warum kirchenferne Menschen in der Bundesrepublik bis heute Bürger zweiter Klasse sind. „Das Recht der Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften in der BRD ist in seinen wesentlichen Zügen aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden. Zwar kennt die Weimarer Reichsverfassung die formale Gleichstellung aller Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften, faktisch aber orientiert sich das Recht am Muster der Kirche. Wer nicht als Kirche organisiert ist und wer nicht in der Rechtsform der Körperschaft existiert, erscheint rechtlich und auch faktisch als Religion bzw. Weltanschauung zweiter Klasse. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Noch immer ist in Recht und Politik die ‚Kirche‘ die normsetzende Form von Religion und Weltanschauung. Alle anders organisierten Religionen und Weltanschauungen werden strukturell benachteiligt.“
Um das gesellschaftliche und politische Bewusstsein für die vielfältigen und teils gravierenden Formen der Diskriminierung konfessionsfreier und nichtreligiöser Menschen zu verbessern, ist der Bericht „Gläserne Wände“ entstanden. Die kompakte Broschüre beschreibt auf rund 100 Seiten, in welchen Bereichen Bürgerinnen und Bürger ohne religiöses Bekenntnis benachteiligt werden und verweist auf aktuelle Konfliktfelder. Sie erläutert politische und rechtliche Hintergründe des Status quo und nennt Fallbeispiele. Komplettiert werden die Darstellungen durch Vorschläge, wie die Politik Benachteiligungen abbauen könnte, sowie durch O-Töne konfessionsfreier und nichtreligiöser Menschen aus ganz Deutschland und eine Auswahl relevanter statistischer Befunde.
Zum Start der Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und des Onlineportals zum Bericht „Gläserne Wände“ sagte Frieder Otto Wolf weiter: „Einseitige politische und gesetzliche Entwicklungen oder Reformen zu einer Art Kartell der Religionsgemeinschaften, wie sie zunehmend deutlich sichtbarer sind, widersprechen nicht nur den im Grundgesetz enthaltenen Geboten zur Gleichbehandlung. Sie zeugen auch von mangelndem Respekt und fehlender Wertschätzung für die unzähligen wertvollen Beiträge nichtreligiöser Menschen zur pluralistischen Gesellschaft und ihrem Zusammenhalt. Angesichts eines politischen öffentlichen Bewusstseins, das sich in dieser Frage immer noch an den Kirchen orientiert und die Konfessionsfreien meistens einfach ‚vergisst‘, ist es von zunehmender Bedeutung, immer wieder die leider nur selbstverständlich scheinende Botschaft zu betonen: Ja, ich will – gleiche Rechte!“